Die DSG unterstützt den Aufbau der Suzuki-Bewegung in Nigeria

By 13. Mai 2011News

Vor ca. zwei Jahren übernahm die Deutsche Suzuki Gesellschaft (DSG) die Patenschaft für den Aufbau der Suzuki-Arbeit in Nigeria unter der Leitung von Frau Dr. Chinwendum Uzodike. Dazu gehörten verschiedenartige Hilfen, angefangen bei der Durchführung von Einführungskursen für zehn Violin- und Violalehrer aus Lagos und Abuja bis hin zur Erstellung einer Vereinssatzung, um eine nationale nigerianische Suzuki-Gesellschaft zu gründen.

Als im Frühjahr 2010 die zehn Lehrer den Kurs begannen, stellten sich viele Besonderheiten heraus, auf die Rücksicht genommen werden musste.

So verfügte keiner der Lehrer über ein einwandfreies Instrument. Es handelte sich meist um einfache chinesische Fabrikinstrumente, die alle mehr oder weniger unbrauchbar waren. Viele Details waren falsch eingerichtet. Auf unsere Fragen kam ans Licht, daß es in Nigeria zwar Geschäfte zum Kauf von Streichinstrumenten gibt, aber keine Reparaturwerkstätten. Die Geschäfte liefern die Instrumente ohne jegliche Feineinstellung mit unpassenden Stegen, Stimmen, Wirbeln usw.

Wenn man eine Reparatur benötigt, ist es günstiger, ein neues Instrument zu kaufen als zum nächsten Geigenbauer nach Ghana (ca. 2.000 km entfernt) zu fahren.

So wurde die Idee geboren, einen der angehenden Suzukilehrer zu ermutigen, zusätzlich auch die Kenntnisse im sogenannten Service für Streichinstrumente (Einstellung von Stimme und Steg, Einrichten von Wirbeln und Saitenhalter, Abziehen des Griffbrettes, Behaarung von Bögen u.a.) zu erwerben.

Als Kandidat für diese Tätigkeit kam der ca. 30jährige David Babatunde Awonuga in Frage, der auch bereits über eine Ausbildung als Ingenieur verfügte.

Die DSG fand eine geeignete Geigenbauwerkstatt in Nürnberg. Dort arbeitet der Geigenbauer Philipp Schlenk, der auch als Kind nach der Suzukimethode Geige spielen lernte und seine Ausbildung als Geigenbauer vorwiegend in Bubenreuth und Mittenwald absolvierte. Er reparierte viele Jahre hindurch auf den Workshops der DSG vor Ort die Instrumente der Schüler und Lehrer. Sein Lehrling für einen Monat hindurch wurde David Awonuga. Nach dessen Rückkehr in seine Heimatstadt Lagos sandte er uns einen ausführlichen Bericht, den wir hier auszugsweise wiedergeben:

Lagos (mit ca. 10 Millionen Einwohnern) ist die frühere Hauptstadt von Nigeria und hat eine längere Geschichte des Violinspiels. Die Kirche war der wichtigste Förderer dieser Kunstsparte und sorgte für die Beschaffung von Instrumenten und die Ausbildung von Kirchenmitgliedern. Die Apostolische Glaubensgemeinschaft und die Christlich Apostolische Kirche besaßen die ältesten Orchester. Wie auch immer – das Violinspiel eroberte den weltlichen Bereich, und durch andere Geiger kam es zur Gründung einer großen Musikschule (MUSON), die intensive Öffentlichkeitsarbeit machte. Die Vervollkommnung der Kunst geschah aber vor allem durch MUSON, welche neue Wege suchte, um Verbesserungen mit Hilfe von professionellen Musikern zu bewirken. Das Wichtigste für die Entwicklungsgeschichte des guten Geigenspiels sehe ich aber in der Lehrerausbildung durch die Suzuki-Methode, die mit dem Unterricht schon im frühen Kindesalter beginnt.

Soweit ich mich zurückerinnern kann, gab es bis jetzt jedoch keine wirklich ernstzunehmenden Aktivitäten auf dem Sektor der Instrumentenreparatur. Die meisten Spieler versuchen selbst, ihre Instrumente zu reparieren und einzustellen, allerdings ohne geeignetes Werkzeug und mit schlechtem Ergebnis.

Es lebt immer noch ein alter Mann, der Instrumente in seiner Freizeit einrichtet. Er ist von Beruf Geologe und spielt Geige. Er machte einmal einen Versuch, eine Geige zu bauen, was aber nicht sehr erfolgreich war, und das Ergebnis war vom ästhetischen Anspruch her etwas armselig.

Außerdem gibt es einen Mann in mittleren Jahren, der Musikdidaktik an der MUSON-Schule unterrichtet. Kürzlich war er in Frankreich und verbrachte vier Tage in einem Geschäft für Streichinstrumente. Seither versucht er, Geigen richtig einzustellen. Jedenfalls ist er ein Allroundman im Musikbereich.

In Lagos gibt es mindestens sechs Geschäfte, in denen man Geigen kaufen kann, aber keines kann wirklich für spielbare Instrumente sorgen. Als Resultat gibt es zahlreiche ältere aber unbrauchbare Geigen und Bögen in Geschäften und bei Privatleuten. Manche davon könnte man wieder herrichten.

Insofern traf ich meine Entscheidung, in Deutschland die Grundlagen der Reparatur von Geigen und Bögen zu erlernen, so daß ich zukünftig dem obengenannten Übelstand abhelfen kann. Dies wird Geigen- und Bratschenspielern bessere Resultate bei ihren Bemühungen bescheren.

Das Arztehepaar Dr. Ingrid Schlenk und Dr. Rolf Schlenk sponsorte meinen gesamten Aufenthalt in Deutschland. Die Unterbringung bei ihnen bestand aus einem hervorragend ausgestatteten Raum ganz für mich allein einschließlich PC, einem schönen Schreibtisch und einer Bibliothek mit hilfreichen Büchern für meine Ausbildung. Außerdem erhielt ich regelmäßig delikate Mahlzeiten, so daß ich jederzeit fit für meine Arbeit war.

Die Handwerkslehre ging immer die ganze Woche hindurch von Montag bis Samstag jeweils von 10 bis 18 Uhr mit Ausnahme von Karfreitag bis Ostermontag. Das Geigenbaustudio von Philipp Schlenk ist ein adäquat eingerichtetes Geschäft mit zwei untereinander verbundenen Abteilungen. Der größere Raum dient als Verkaufsraum, während der kleinere der Werkstatt vorbehalten ist.

Hier eine Übersicht über den Arbeitsablauf:

  1. Geigenreparatur
  2. Steg zuschneiden
  3. Anpassen von Wirbeln, Saitenhalterknöpfen, Saitenhaltern und Henkelsaiten
  4. Abziehen von Griffbrettern und Obersätteln
  5. Reinigung und Polieren von Geigen
  6. Stimmstock aufstellen
  7. Kundenberatung
  8. Geschäft und Werkstatt zweimal in der Woche aufräumen
  9. Stimmen und Spielen der Geigen, um ihren Zustand zu kontrollieren

Der Meister gab mir häufig ausführliche Erklärungen über viele Details wie z.B. die Aufstellung des Steges und forderte mich auf, verschiedene Stege zu schnitzen. Ich übte dies schließlich an zehn Stegen, um meine Fähigkeit zu vervollkommnen, einwandfreie Stegohren zu formen. Obwohl es zunächst schwierig war, den Umgang mit den Messern und vielen anderen Geigenbauwerkzeugen zu erlernen, konnte ich doch durch Selbstkontrolle in der kurzen Zeit bemerkenswerte Fortschritte machen. Schließlich äußerte mein Ausbilder, ich wäre der beste Lehrling, den er bisher in seiner Werkstatt gehabt hätte.

Mein Ausbilder spricht englisch und kommunizierte so gut im Verkaufsraum mit den Kunden, dass ich schließlich ungefähr achtzig Prozent davon verstehen konnte. Ich spreche auch etwas deutsch, so dass ich manche Kunden beraten konnte mit einer Mischung aus einfachem Deutsch und Englisch.

Anders als meine Ausbildung in der Geigenbauwerkstatt dauerte meine Arbeit in der Bogenbauwerkstatt lediglich zweieinhalb Tage. Dennoch war das Ergebnis gleichermaßen erfolgreich, weil der Meister, Herr Andreas Dörfler in Bubenreuth, mir alle Stufen der Bogenreparatur und des Bogenbaus demonstrierte. Ich hatte acht kaputte Bögen (vier Cello- und vier Geigenbögen) aus Lagos mitgebracht. Der Bogenbaubetrieb ist sehr groß und hat mehr als zwanzig Abteilungen. Mit meinen acht Bögen konnte ich durch viele Etappen der Bogenreparatur gehen, von einer Abteilung zur nächsten und von einem Mitarbeiter zum anderen.

Die Abschnitte der Bogenreparatur enthalten folgendes:

  1. Entfernen der Bogenhaare
  2. Reparatur gebrochener Bögen
  3. Schnitzen von Keilen für Frosch und Spitze
  4. Biegungskorrektur
  5. Befestigung von neuem Haar und Keilen
  6. Neue Wicklungen für den Griff

Ich übte daran, Keile für Frosch und Spitze zu schneiden und neues Haar im Bogenmodell zu befestigen. Das war der wichtigste Aspekt bei dieser Arbeit.

Andere Höhepunkte meines achtundzwanzigtägigen Aufenthaltes waren:

  1. Die Oper “ATHALIA” in der Meistersingerhalle in Nürnberg
  2. Die Suzuki-Tage in Fürth (15.-18.April)
  3. Besuche in Rothenburg ob der Tauber und Schillingsfürst
  4. Ein Museumsbesuch
  5. Ein Besuch im Tiergarten Nürnberg
  6. Hospitation in der Suzuki-Gruppe von Frau Konrad
  7. Mitspielen im Collegium Musicum Nürnberg
  8. Interview mit einem Journalisten

Der wichtigste Teil beim Erlernen des Geigenbauhandwerks ist Übung. Ich war sehr besorgt darüber, nach Nigeria zurückkehren zu müssen ohne all die Spezialwerkzeuge und dort meine Arbeit zu beginnen. Da kam im letzten Augenblick die Entscheidung der Deutschen Suzuki Gesellschaft, diese Geräte kostenlos zur Verfügung zu stellen. Ich erhielt auch einige ältere, gebrauchte Werkzeuge von den beiden Ausbildern, insbesondere von Philipp Schlenk, der mir schließlich für jeden Bereich ein Werkzeug schenkte. Ich erhielt auch Werkzeuge und sonstiges Material von dem Bogenbauer Andreas Dörfler. Nun kann ich meine Arbeit in Lagos beginnen. Außerdem bleibe ich in Kontakt mit meinen beiden deutschen Ausbildern, so dass ich auch im Bedarfsfall Hinweise bekommen kann.

Ich fühle mich zu großem Dank verpflichtet allen gegenüber, die mir geholfen haben, dieses Training erfolgreich zu absolvieren:

  1. Deutsche Suzuki Gesellschaft
  2. Nigerianische Gruppe der Suzuki-Lehrer
  3. MUSON Musikschule
  4. Herrn Philipp Schlenk
  5. Ehepaar Schlenk
  6. Herrn Andreas Dörfler
  7. Meine Familie, die Awonugas

Meiner Familie bin ich sehr dankbar, daß sie es ermöglichte, die für nigerianische Verhältnisse sehr teuren Flüge Lagos-Frankfurt-Lagos zu bezahlen und meiner neuen Familie, den Schlenks, welche die Flugkosten von Nürnberg nach Frankfurt übernahmen, so dass ich mein schweres Gepäck mit den Werkzeugen leicht befördern konnte.

Auch halfen sie, meine Lehrzeit sehr erfolgreich zu machen, gaben mir die Verbindung zu der Bogenbaufirma und dem Suzuki-Workshop in Fürth. Sie planten meinen ganzen Tagesablauf, so dass er immer interessant und aller Mühe wert war.

Ebenso bin ich der Deutschen Suzuki Gesellschaft sehr dankbar für die Werkzeuge sowie der nigerianischen Suzuki-Lehrergruppe für die Übernahme der Fracht- und Zollkosten nach Nigeria.

Das Kunsthandwerk der Geigenreparatur ist ein echtes Handwerk, das kaum irgendwelcher industrieller Maschinen bedarf. Fichtenholz, Ahornholz und Elfenbein sind in Afrika im Überfluß vorhanden. Wenn diese Kunst gut erlernt wird, können Nigerianer sicher in nicht zu ferner Zukunft Geigen mit eigener Hand bauen.

Lagos/Nigeria, den 1. Mai 2011

David Babatunde Awonuga

Echo in der Nürnberger Presse


3 Comments

  • Barbara Merten sagt:

    Großartige Aktion der DSG und der Familie Schlenk! Ich kann Sie nur beglückwünschen.
    Solch eine Aufbauarbeit zu leisten, ist sicherlich ganz im Sinne von Dr. Suzuki. Aber ohne Voraussetzungen – in diesem Fall die Möglichkeit der Geigenreparatur und Einstellung der Instrumente – wäre alles vergebene Liebesmüh! Bin gespannt wie das Projekt weitergeht…
    Übrigens finde ich die Homepage SEHR gelungen! Vielen Dank – besonders für die hochinteressanten kostenlosen Downloads!

  • Norbert Theile sagt:

    Ich kann mich nur meiner Vorrednerin anschließen und bin beeindruckt von dieser Aktivität.
    Meiner Meinung nach kann eine gute musische Bildung, die den Menschen im Innersten berührt, langfristig mehr bewirken als intellektuelles Wissen und Entwicklungshilfemaßnahmen im üblichen Sinne.

    Wie finanziert die DSG solche Projekte? Sind auch Spenden von Nicht-Mitgliedern willkommen?

  • Kerstin Wartberg, Administrator sagt:

    Lieber Herr Theile,
    die DSG finanziert dieses Projekt durch zweckgebundene Spenden.
    Da wir keinerlei öffentliche Unterstützung erhalten, sind wir für jede Spende dankbar, ganz gleichgültig ob von Migliedern oder Nichtmitgliedern.
    Die von Ihnen gelobte Aktivität in Nigeria wurde ermöglicht durch eine großzügige Spende von Frau Ursula Kunberger aus Oberaudorf/Bayern, der wir auch an dieser Stelle sehr herzlich danken möchten!
    Nachahmer sind sehr willkommen, da es an Projekten nicht mangelt.

    Ich danke Ihnen für Ihre freundlichen Worte und sende Ihnen beste Grüße.

    Kerstin Wartberg
    Künstlerisch-pädagogische Leiterin der DSG

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